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Wie steht es um das Lieferkettengesetz?

Felix Mayr von der Arbeiterkammer erklärt im Interview wie es um die EU-Richtlinie zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt entlang globaler Lieferketten steht.

Zunächst das Grundsätzliche: Das EU-Lieferkettengesetz will Menschenrechte und Umweltschutz entlang globaler Lieferketten stärken. Große Unternehmen sollen verpflichtet werden, die Einhaltung von Menschenrechten – und damit Arbeitnehmer:innenrechten – sowie Umweltauflagen entlang der Lieferkette für alle Produkte und Dienstleistungen zu überprüfen. Staatliche Behörden und Zivilklagen von Betroffenen sind vorgesehen, um gegen negative Auswirkungen von Unternehmensaktivitäten vorzugehen. Eine Abstimmung auf EU-Ebene Ende Februar brachte allerdings nicht die erforderliche Mehrheit. Ist das Gesetz damit Geschichte?

Felix Mayr von der AK Wien (rechts) und Sascha Ernszt von der PRO-GE Wien
Arbeiterkammer Wien, Experte für Internationales

Felix Mayr von der Internationalen Abteilung der Arbeiterkammer Wien stand bei der PRO-GE Podiumsdiskussion zum Lieferkettengesetz auf der WeFair in Wien dem interessierten Publikum Rede und Antwort. Wir haben den Experten gefragt, wie es um das Lieferkettengesetz nun steht, warum Deutschland dagegen gestimmt hat und doch ein eigenes Lieferkettengesetz hat und welche Rolle Österreich bei der Blockade-Abstimmung in der EU gespielt hat.

Wer die Nachrichten nicht im Detail verfolgt hat, kennt sich vielleicht nicht mehr aus: Ist das Lieferkettengesetz nun gescheitert? Es wurde ja von einer Blockade bei der entscheidenden Abstimmung berichtet?

Die Blockade war eingetreten, nachdem Deutschland kurzfristig ankündigte, dem zwischen EU-Parlament und Rat gefundenen Kompromiss nicht zustimmen zu wollen. Danach sind andere Mitgliedstaaten dem Beispiel gefolgt und haben ebenfalls angekündigt, sich der Abstimmung enthalten zu wollen. Nur durch lange Nachverhandlungen und eine erhebliche Abschwächung des EU-Lieferkettengesetzes wurde am 15. März eine ausreichend breite Zustimmung der Mitgliedstaaten gefunden.

Warum hat Deutschland im letzten Moment doch dagegen gestimmt?

In Deutschland hat insbesondere Finanzminister Lindner (FDP) das EU-Lieferkettengesetz lautstark kritisiert und vor überbordender Bürokratie gewarnt. Neben Drohszenarien wie der Schwächung der europäischen Wirtschaft wurden viele Mythen und Falschmeldungen verbreitet, um die Ablehnung vor der Bevölkerung zu rechtfertigen.

Und warum hat Deutschland dann doch ein eigenes Lieferkettengesetz?

Das deutsche Lieferkettengesetz ist weniger streng sowohl in Bezug auf den Anwendungsbereich als auch im Hinblick auf Sanktionen und Haftungen bei Verstößen. Insofern bedeutet das EU-Lieferkettengesetz für deutsche Unternehmen eine künftig strengere Rechtslage. Aber allein der Umstand, dass die bestehende deutsche Regelung nun für das EU-Lieferkettengesetz angepasst werden muss, sorgte bereits für Unmut unter den Unternehmen.

Wie hat sich Österreich bei der Abstimmung verhalten? Und warum?

Österreich hat sich sowohl in den Verhandlungen der letzten beiden Jahre als auch in den Abstimmungen blockierend und abwehrend gezeigt. Die Enthaltung von Wirtschafts- und Arbeitsminister Kocher in der finalen Abstimmung zählt auf EU-Ebene nämlich wie eine Gegenstimme. Er argumentierte, dass die Regelung faktisch nicht umsetzbar und eine bürokratische Überforderung sei. Seine Argumente waren dabei oft deckungsgleich mit Vorbringen namhafter Wirtschaftsverbände (insb. WKO und IV).

Und wann kommt die Richtlinie dann? Kommt sie überhaupt noch?

Die Richtlinie wird am 24. April im EU-Parlament angenommen werden und vom Rat nochmals formal abgesegnet. Nach derzeitigem Wissensstand ist davon auszugehen, dass das EU-Lieferkettengesetz angenommen wird. Danach werden die Mitgliedstaaten zwei Jahre lang Zeit haben, um die entsprechenden nationalen Gesetze zu beschließen.

Kann man schon abschätzen, wann das Gesetz dann auch in Österreich gilt?

Sobald das EU-Lieferkettengesetz beschlossen ist, hat Österreich zwei Jahre Zeit, ein entsprechendes österreichisches Gesetz zu verabschieden. Ab dann muss Österreich nämlich die Inhalte der EU-Regelung vollziehen, kontrollieren, und – bei Verstoß – sanktionieren. Zuständig für das nationale Begleitgesetz ist das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft. Aufgrund der Nationalratswahlen im Herbst ist allerdings noch unklar, welche:r Minister:in dem Ministerium vorstehen wird.

Wird das Lieferkettengesetz wirklich so kompliziert für die Firmen, wie die Wirtschaft immer beklagt?

Nein. Lieferketten existieren, weil Unternehmen diese selbst durch Geschäftsbeziehungen geschaffen haben. Bereits jetzt finden Kontrollen entlang dieser statt, beispielsweise betreffend Qualität und Sicherheit der hergestellten Produkte. Eine Ausweitung der Kontrolle auf Arbeits- und Umweltbedingungen ist insofern jedenfalls möglich. Die Kommission legte ihrem Vorschlag Anfang 2022 übrigens eine Folgenabschätzung bei, wonach große Unternehmen mit Mehrkosten von 0,005% ihres jährlichen Umsatzes zu rechnen haben werden. Insofern ist den Warnungen vor Überlastung der Unternehmen kein Glauben zu schenken.

Wenn die Richtlinie nun so abgeschwächt ist, bringt es dann überhaupt noch etwas?

Auf jeden Fall! Einerseits wird mit dem EU-Lieferkettengesetz erstmals ein europaweit einheitliches Gesetz in diesem Bereich erlassen, in dem bislang noch gar keine Regelungen bestehen. Andererseits betrifft das EU-Lieferkettengesetz jene großen Unternehmen und Konzerne, welche mit ihrer Wirtschaftsleistung eine steuernde Macht auf den restlichen Markt ausüben. Insofern wird mit dem EU-Lieferkettengesetz jedenfalls ein Umdenkprozess auch in der restlichen Wirtschaft angestoßen.


Gerechtigkeit geht alle an!

Arbeiterkammer und ÖGB unterstützen gemeinsam mit NGOs die europaweite Kampagne „Gerechtigkeit geht alle an“ (Justice Is Everybody´s Business) justice-business.org/de für ein wirksames EU-Lieferkettengesetz.

Engagiere auch du dich!