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Schluss mit Jammern!

Unternehmer:innen und liberale Ökonom:innen haben den Sündenbock für die Industrie-Krise längst ausgemacht: Die hierzulande viel zu hohen Löhne sind schuld, dass Österreich im internationalen Wettbewerb nichts mehr gewinnen kann. Tatsächlich? Wir laden die Wirtschaft ein, endlich wieder in die „Nicht-Raunzerzone“ zu kommen.

Die Wirtschaftskapitäne und -innen kommen nicht mehr aus dem Jammern heraus. Fast wortgleich erklären sie, dass die Löhne in Österreich zu stark und vor allem stärker als in anderen Ländern gestiegen seien. Die Wettbewerbsfähigkeit stehe auf dem Spiel. Einzig mögliche Gegenmaßnahme: Die Arbeitnehmer:innen sollen Lohnzurückhaltung üben, auf einen Inflationsausgleich verzichten, manch einer fantasiert gar von „drei Jahren Nulllohnrunden“.

Wirtschaftsforscher gegen Beschäftigte

Und die Wirtschaftsforscher stimmen in den Abgesang auf den Wirtschaftsstandort ein. WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr forderte etwa bei der Anpassung von Pensionen, Löhnen und Sozialleistungen ein „Rendezvous mit der Realität. Sie können nicht mit der Inflation oder sogar stärker steigen, wenn die reale Wirtschaftsleistung sinkt“. Felbermayr meint, den Kern des Problems verstanden zu haben: „Die hohen Lohnsteigerungen haben die Lohnquote explodieren lassen: von 62 Prozent im Jahr 2022 auf fast 70 Prozent im Prognosejahr 2026“.

Liniendiagramm mit Lohnquote in % und BIP-Wachstum in % von 1961 bis 2024
Der WIFO-Chef kritisiert die hohe Lohnquote – aber: Die größten Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts erzielte Österreich in Zeiten mit noch deutlich höherer Lohnquote. Eine steigende Lohnquote ist übrigens Resultat und nicht Ursache von wirtschaftlichen Krisen: Sinken die Gewinne, steigt die Lohnquote automatisch an.

Nicht nur Felbermayrs „Rückblick“ auf das Prognosejahr 2026(!) ist vielsagend. Besonders das dahinter liegende Verständnis von Wirtschaft ist gruselig: Der Wirtschaft gehe es gut, wenn Pro te so hoch wie möglich und Löhne so niedrig wie möglich seien. Dann gäbe es Anreize für Unternehmen, zu investieren. Zu hohe Löhne führten dagegen zu einem Anstieg der Lohnstückkosten und Österreich verlöre den Anschluss an den Weltmarkt. Doch ist das tatsächlich so?

Löhne als Triebfeder der Wirtschaft

Ein Blick ins Ökonomie-Lehrbuch: Früher dachten liberale Ökonom:innen, dass für die Investitionsfreudigkeit von Unternehmern preisliche Wettbewerbsfähigkeit zentral wäre – besonders durch niedrige Löhne. John M. Keynes revolutionierte die Wirtschaftswissenschaft: Er zeigte auf, dass Unternehmer investieren, wenn sie davon ausgehen, dass zukünftig mehr Produkte verkauft werden. Die Triebfeder der Wirtschaft sind also nicht Profite, sondern die Löhne als Grundlage für die Nachfrage und Kaufkraft.

Die guten Lohnabschlüsse 2024 sorgten für einen Ausgleich der Reallohnverluste durch die Rekord-Inflation zuvor, brachten aber weniger Konsum und Nachfrage als erhofft. Die Beschäftigten haben weniger Geld ausgegeben und mehr gespart. Das ist eine rationale Reaktion auf steigende wirtschaftliche Unsicherheit, trägt aber wenig zum gesellschaftlichen Wohlstand bei.

Warum es mehr Optimismus braucht

Spätestens durch die von Donald Trump ausgelösten Zollkonflikte ist es fragwürdig, auf Exportwirtschaft und niedrige Produktionskosten zu setzen. Stattdessen sollte dem europäischen Binnenmarkt mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden und der funktioniert wiederum nur dann gut, wenn durch gerechte Löhne ausreichend Kaufkraft vorhanden ist. Die Unternehmer wären gut beraten, den Wirtschaftsstandort Österreich nicht länger schlecht zu reden. Die Industrie braucht wieder mehr Optimismus und innovative Produktideen – und gerechte Lohnerhöhungen. Positiv gestimmte Beschäftigte sind nämlich nicht nur konsumbereiter, sondern auch produktiver als verunsicherte.

Dr. Bernhard Leubolt ist PRO-GE Fachexperte für Volkswirtschaft