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Im Faktencheck: Öffnungsklauseln und andere „gute“ Ideen

Der Ideenreichtum der Arbeitgeberseite kennt kaum Grenzen, wenn es darum geht zu begründen, warum die Arbeitnehmer:innen auf höhere Löhne verzichten sollen. Die skurrilsten Argumente im Faktencheck.

Der aus Deutschland stammende Neo-Chef des IHS, Holger Bonin, schlug kürzlich Öffnungsklauseln in Kollektivverträgen vor. Damit sollen Arbeitnehmer:innen aus Betrieben „denen es nicht gut geht“, heuer keine oder eine geringere Lohnerhöhung bekommen. Bei den Verhandlungen richtete Arbeitgeber-Sprecher Christian Knill aus, dass 2,5 Prozent fair wären, weil die Arbeitnehmer:innen durch die Abschaffung der kalten Progression ohnehin viel mehr Geld hätten. Und sein Bruder Georg Knill, seines Zeichens Präsident der Industriellenvereinigung, begründet die Fairness der 2,5 Prozent mit den erfolgten Teuerungs-Einmalzahlungen der öffentlichen Hand.

Faktencheck #1: Die Öffnungsklauseln

Öffnungsklauseln würden genau das löchrig machen, was in Österreich die flächendeckend gute Situation der Beschäftigten ausmacht: branchenweit gültige Kollektivverträge. In Österreich sind 98 Prozent der Arbeitsverhältnisse durch Kollektivverträge rechtlich abgesichert. Eines der Grundprinzipien der branchenweiten Kollektivverträge in Österreich ist, dass die wirtschaftliche Konkurrenz von Unternehmen nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer:innen ausgetragen wird. Jede Verschiebung in Richtung Betriebsebene würde dazu beitragen, kollektivvertragliche Mindeststandards zusehends in Frage zu stellen und den Druck auf Betriebsrat und Belegschaft, z.B. schlechtere Löhne zu akzeptieren um die wirtschaftliche Position des Betriebes zu verbessern, massiv erhöhen.

Öffnungsklauseln sind in deutschen Tarifverträgen zwar weit verbreitet. Auch Firmen-Tarifverträge gibt es dort im Gegensatz zu Österreich relativ häufig. Modelle aber aus einem Land zu kopieren, wo es einen gigantischen Niedriglohnsektor gibt und Firmen jederzeit aus einem Tarifvertrag aussteigen können halten wir als Gewerkschaft für den falschen Weg. Ganz abgesehen davon stellen sich praktische Fragen: Legen die Betriebe den Interessenvertretungen ihre Bilanzen samt Gewinnausschüttungen offen, um festzustellen, ob es „einem Betrieb gut geht“? Und wie geht man mit internationalen Konzernen um, deren wirtschaftliches Gesamtergebnis zum Beispiel schwächelt, jenes in der österreichischen Niederlassung aber etwa exzellent ist?

Faktencheck #2: Die Abschaffung der kalten Progression

Als kalte Progression bezeichnet man die Erhöhung der Steuerlast, die auf die fehlende Inflationsanpassung des Steuersystems zurückzuführen ist. Weil die Löhne durch die Kollektivvertragsverhandlungen steigen, die Grenzbeträge für die Steuerstufen zum Beispiel aber nicht, steigt die Steuerbelastung. Durch die beschlossene Teil-Abschaffung ab 1. Jänner 2023 werden nun auch die Beträge wie Einkommensgrenzen, Frei- und Absetzbeträge jährlich an die Höhe der Inflationsrate angepasst.

Das aber bei den Lohnverhandlungen einrechnen zu wollen ist absoluter Humbug. Das Ende der kalten Progression war längst überfällig! Jahrelang haben die Arbeitnehmer:innen mit den Lohnerhöhungen für ein sattes Plus bei den Steuereinnahmen gesorgt. Die Anpassung der Progressionsstufen an die Inflation ist also keine Steuerentlastung im eigentlichen Sinn, sondern verhindert lediglich ein ungerechtfertigte zusätzliche Belastung.

Faktencheck #3: Die Unternehmen zahlen die Inflation doppelt

In einem Interview mokierte sich Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung, dass die Unternehmen die Inflation doppelt zahlen, wenn die Löhne um die Inflationsrate steigen würden. „Wir dürfen hierbei [Anm. bei den Verhandlungen] die massiven Unterstützungsmaßnahmen der öffentlichen Hand nicht außer Acht lassen. Und diese zahlen wieder die Steuerzahler“, sagt Knill im Interview. Leider vergisst er dabei, dass die Arbeitnehmer:innen die weitaus größere Gruppe der Steuerzahler:innen sind! 80 Prozent der Steuereinnahmen kommen von Arbeitnehmer:innen und Pensionist:innen. Damit impliziert Knill, dass die Arbeitnehmer:innen deswegen weniger Lohnerhöhung bekommen sollen, weil sie sich quasi eh selbst so viel Unterstützungen „gegönnt“ haben.

Faktencheck #4: Argumentations-Zick-Zack

Die Arbeitnehmer:innen der Metallindustrie sind sauer. Die 2,5 Prozent empfinden sie als Affront und die Argumentation der Arbeitgeberseite als schlichtweg unfair. Das zeigen auch hunderte Kommentare auf Social Media.

Die Arbeitnehmer:innen haben eine faire Forderung gestellt, selbst Wirtschaftswissenschafter bewerteten sie als grundvernünftig und absolut gerechtfertigt. Letztes Jahr hatten wir die umgekehrte Situation - eine niedrigere rollierende Inflation als im September - und die Arbeitnehmer:innen sind mit dem Abschluss in Vorlage gegangen. Umso mehr haben sich die Kolleginnen und Kollegen heuer faire Verhandlungen und nachhaltige Lohnerhöhungen verdient. Die Inflation trifft die Beschäftigten hart, Einmalzahlungen verpuffen sofort und schwindende Kaufkraft schadet auch den Unternehmen.

Und was die "Anrechnung" von staatlichen Hilfen betrifft: Aus Arbeitnehmer:innensicht wäre es dann auch an der Zeit über die milliardenschweren Unterstützungen und „Zuckerl“ für Unternehmen der letzten Jahre zu sprechen. Denn die Senkung der Körperschaftssteuer auf Unternehmensgewinne oder die Corona-Förderungen für Firmen in Milliardenhöhe waren für die Arbeitgebervertreter bislang noch nie ein Thema.